Am 31. Oktober 2017 jährt sich zum 500. Mal die Veröffentlichung der 95 Thesen, mit denen Martin Luther an der Schlosskirche in Wittenberg einer Reform des Kirchenwesens den Weg ebnete. Mit dem 500. Reformationsjubiläum 2017 wird daran erinnert, welche Rolle die Reformation auf dem Weg in die Moderne in Deutschland und europaweit gespielt hat. Die Veranstaltungen im Reformationsjahr sollen dazu beitragen neu über Gott, die Bibel und die Religion nachzudenken.
Am Reformationstag, 31. Oktober 2016, erhielt die Stadt Herborn im Rahmen eines Gottesdienstes in der Aula der Hohen Schule Herborn die Auszeichnung „Europäische Reformationsstadt“. Dr. Mario Fischer von der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) aus Wien übergab die Auszeichnung an den Bürgermeister Hans Benner. Dr. Mario Fischer würdigte in seiner Festansprache die Bedeutung Herborns als Stätte der Reformation: Die reformierte Gelehrsamkeit, der Bibeldruck in der Cornvin’schen Druckerei und die Liberalität der Bürger hat für die Reformation in der Region und darüber hinaus weitreichenden Einfluss gehabt. Er machte deutlich, dass die Initiative „Europäische Reformationsstadt“ Partnerschaften zwischen Kirche und Kommunen stärken und Menschen in Europa miteinander verbinden will, „mit dem Reformationsjubiläum 2017 wird eine Brücke über Konfessions- und Ländergrenzen hinweg gebaut“.
Herborn ist im Reformationsjahr 2017 einer von 68 Orten auf dem „Europäischen Stationenweg“. Der „Europäische Stationenweg“ ist ein Projekt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und des Deutschen Evangelischen Kirchentags. Ab November bis zum Reformationstag 2017 bereist ein Reformations-Truck - ein zur Ausstellung umgebauter LKW - die teilnehmenden 75 Orte in vierzehn Ländern europaweit. Der Reformations-Truck macht am 9. Mai 2017 Station in Herborn, auf dem Parkplatz des Herkules Marktes am Hüttenweg 1. Von allen Stationen bringt der Reformations-Truck Geschichten und Erinnerungen in die Lutherstadt Wittenberg, die im Rahmen der Ausstellung „Tore der Freiheit“ präsentiert werden. Der„Europäische Stationenweg“ endet in Wittenberg und bildet mit einer Weltausstellung den Höhepunkt des Reformationsjahres 2017.
Bürgermeister Hans Benner verdeutlichte in seinem Grußwort, warum Herborn als historische und moderne Stätte der Reformation angesehen werden kann. Im 16. Jahrhundert (1584) sei in Herborn die Academia Nassauensis, die Herborner „Hohe Schule“ als höhere Bildungsanstalt für Reformierte aufgebaut worden. Fast 250 Jahre wurden hier Pfarrer, Lehrer und höhere Landesbedienstete ausgebildet. Bis heute werden im Theologischen Seminar Vikarinnen und Vikare der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau auf den Pfarrdienst vorbereitet. "Herborn als Europäische Reformationsstadt braucht sich nicht hinter Städten wie Marburg oder Wittenberg verstecken: Die Wirkungen der Reformation sind bis heute in unserer Stadt zu erkennen. Hier wird Toleranz, Glaubensfreiheit und Erneuerung gelebt", sagte Stadtverordnetenvorsteher J. Michael Müller am Abend der Verleihung.
„Die Corvin´sche Druckerei hat durch die europaweite Vorbereitung der vielfältigen Druckerzeugnisse, wie der „Piscator-Bibel“ als erste vollständige Bibelübertragung seit Luther mit Erläuterungen und Kommentaren einen herausragende Rolle für die Region um Herborn gehabt. Internationale und überkonfessionelle Verbreitung und Beachtung hat auch die Encyclopaedia von Johann Heinrich Alsted von 1630 erlangt“, stellte Bürgermeister Hans Benner heraus.
Unter dem Motto „Gott neu entdecken – mir freue sich“ sind an verschiedenen Orten des Evangelischen Dekanats an der Dill Veranstaltungen und Aktionen für jede Altersgruppe geplant. Das Programmheft für die Veranstaltungen im Jahr des 500. Reformationsjubiläums ist in den Kirchengemeinden und im Dekanat an der Dill, Hintersand 15, erhältlich. Es kann hier heruntergeladen werden.
Bereits ein Jahr nach der Gründung der „Johannea“ konnte unweit der Pfarrkirche die Corvin´sche Druckerei den Betrieb aufnehmen. Ihre hervorragende Vernetzung mit den Anliegen der eng zusammenarbeitenden Herborner Professorenschaft gehört untrennbar zu dem überraschenden Erfolg der Herborner Buchproduktion, die in den verschiedensten Facetten im Dienste des reformierten Bildungswesens stand.
Christoph Corvins erstes Großprojekt war die Veröffentlichung der Predigten Jean Calvins über das Buch Hiob in deutscher Sprache, eine Herborner Übersetzungsleistung. Weitere Übersetzungen aus der französischen reformierten Literatur folgten. Die Drucklegung eigenständiger deutschsprachiger Schriften, namentlich von Gesangbüchern, die die Psalmenübersetzung Lobwassers und den Heidelberger Katechismus enthielten, überragte dies noch deutlich. Die Wertschätzung der religiösen Unterweisung in der Muttersprache beschränkte sich in Herborn nicht auf das Deutsche: Der aus Ungarn stammende Herborner Student Albert Molnàr veröffentlichte hier 1607 seine ungarische Übersetzung des Heidelberger Katechismus und der Psalmen, eine Leistung, die zu den Anfängen der ungarischen Literatur zählt und entsprechend hoch geschätzt wird. Eine Besonderheit stellen die insgesamt 13 Auflagen der Bibel in der Übersetzung Martin Luthers dar, die im reformierten Herborn 1595 – 1666 und zuletzt noch 1709 erschienen. Sie kamen stets zusammen mit dem Heidelberger Katechismus und Lobwassers Psalmenübersetzung heraus, Vorreden und Überschriften entsprachen der reformierten Theologie. Wenn auch die theologische Fakultät der Universität Wittenberg diese Herborner Ausgaben der Lutherbibel als mit Caluinischem Gifft beschmeist schmähte, stellten sie doch einen Weg dar, auf dem Gemeinsamkeiten der evangelischen Konfessionen gewahrt werden konnten.
Die eigenständige reformierte Theologie Herborns wurde von Corvins Druckerei weit verbreitet. Die meisten Werke erschienen in lateinischer Sprache, was ihre internationale Verbreitung ermöglichte. Unter den deutschen Veröffentlichungen ragt das Herbornische Bibelwerk weit hervor. Es entstand unter der Leitung von Johann Piscator und erschien ab 1602. Piscator selbst fertigte die gesamte Übersetzung, die erste vollständige Bibelübertragung seit Luther und erarbeitete mit einem Kreis von Theologen auch die Erläuterungen und Kommentare, die nach jedem Kapitel angeordnet sind.
Herbornisches Bibelwerk „Piscator- Bibel“
Piscators erklärte Absicht war es, Laien den vollständigen Bibeltext mit einem Leitfaden für sein Verständnis an die Hand zu geben, für den Fall, dass den Gemeinden durch Verfolgung oder Katastrophen keine Pfarrer oder Lehrer mehr zur Seite standen. Zu den wichtigen Aussagen der deutschen Bibelkommentare dieses Werkes gehört, dass das Verhältnis von Juden und Christen aus der Sicht der von Olevian begründeten Bundestheologie und der von Piscator vertretenen Naherwartung des Reiches Gottes zu sehen sei. Als Volk des Alten Bundes, das auf den Messias wartete, konnten die Juden nicht als Feinde betrachtet werden, weshalb die Theologen um Piscator auch ihre Leser davor warnten, sie zu verfolgen. Corvin hat diese Haltung 1610 bei der Wahl des Titelblatts für den lexikalischen Anhang des Herbornischen Bibelwerks unterstrichen. Hier steht eine Allegorie der mosaischen Gesetze, eine Frau, wie sie sonst die Synagoge verkörpert, einer Frau in Augenhöhe gegenüber, die die von Christus vermittelte Gnade Gottes darstellt. Die Augen der Synagoge sind jedoch entgegen der christlichen Tradition nicht verschleiert und ihr Zepter ist nicht zerbrochen. Die Piscatorbibel wurde mit Rücksicht auf die Beziehungen zur augsburgischen Konfession in Nassau nicht verbindlich gemacht, dies geschah allerdings in der Schweiz, wo der große Kanton Bern ab 1684 mehrere Neuauflagen veranlasste.
Starke Bezüge zur Bundestheologie weist auch die Staatsvetragslehre auf, die der Herborner Jurist Johannes Althusius seit 1603 in seiner „Politica“ vertrat. Hier findet sich auch der Gedanke des aus christlicher Ethik begründeten Widerstandsrechts gegen Tyrannen.
Als wichtigstes Herborner Werk, das die Gesamtheit reformierter Bildung dokumentiert wurde hier 1630 die große Encyclopaedia des Johann Heinrich Alsted gedruckt. Sie behandelte alle damals bekannten Wissensgebiete und fand internationale und überkonfessionelle Verbreitung und Wertschätzung.
Aus der Blütezeit der zweiten Reformation findet man in Herborn bis heute das Kollegiengebäude der Hohen Schule, die Pfarrkirche, mit den Gräbern Olevians und Piscators, das Schloss und die Hofanlage der Corvinschen Druckerei. Das evangelische Theologische Seminar auf Schloss Herborn besitzt Teile der Bibliothek der Hohen Schule, das städtische Museum im Kollegiengebäude zeigt eine Dauerausstellung zu ihrer Geschichte.