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425 Jahre Hohe Schule Herborn

425 Jahre Hohe Schule Herborn

Reformierte Schriften aus der Mönchszelle? – Caspar Olevian und Johann Piscator wohnten im historischen Hospiz der Wetzlarer Franziskaner.


Herborn genießt vor anderen historischen Hochschulstandorten den Vorzug, dass hier aus der Zeit der Hochblüte seiner Akademie besonders viele bauliche Zeugen erhalten blieben. Neben dem Schloss, der Stadtkirche, dem Kollegiengebäude (Schulhof) und dem Rathaus gehören etliche Wohnhäuser dazu. Der Stadterkundungsplan (erhältlich bei Stadtmarketing, Rathaus) weist einen eigenen Rundgang zur Geschichte der Hohen Schule aus. Er bewegt sich vor allem über den Schulberg, ehemals „Ziegenberg“ genannt (vgl. Beitrag vom 30.7.2009) und den Kirchberg. Die dabei ausgewiesene Wegführung über den Burgberg zurück ins Tal zeigt eine auffällige Lücke. Hier sind keine Bauten eingetragen. Wir müssen uns, wie im Falle des Alstedschen Hauses, mit einem verschwundenen Gebäude befassen. Ausgerechnet das Gelände südlich der Pfarrscheune besteht aus einer Grünfläche. Sie wurde einst durch Terrassierung und Einebnung für eine Bebauung hergerichtet. Es gibt überzeugende Indizien für die Annahme, dass hier sogar schon seit dem Mittelalter ein ansehnliches Anwesen bestand, dessen Verschwinden allerdings bis heute ein Rätsel bleibt. Eine Dokumentation über die Bebauung des Grundstücks liegt für die Zeit um 1600 vor und beweist, dass südlich der Pfarrscheune ein Wohnhaus mit Stallung, Hof und Mistplatz in einem Baumgarten lag. Besitzer waren damals Professor Johann Piscator und seine Frau, nach ihnen einer der Söhne. Vorbesitzer waren Professor Caspar Olevian und seine Frau. Letztere verkaufte das Anwesen als Witwe 1609 an Piscator, als dieser gerade nach der Flucht der Hohen Schule vor der „Grossen Pest“ aus Siegen wieder an die Dill zurückgekehrt war. Man wusste damals auf dem Rathaus noch, dass in älterer Zeit ein Mönch das Haus bewohnt hatte.

In Herborn gab es vor der Reformation tatsächlich drei Niederlassungen von Bettelmönchen. Es handelte sich dabei nicht um Klöster, sondern um Herbergen, die von einzelnen Brüdern bewohnt und bewirtschaftet wurden. Diese „Termineien“ nutzten Mönche die im Auftrage ihres Ordens in der Region predigten, als Unterkünfte. Ein Vergleich der Nachrichten über die Herborner Termineien ergab, dass das verschwundene Anwesen südlich der Pfarrscheune den Wetzlarer Barfüßer-Mönchen (Franziskanern) gehört haben muss. Der Konvent besaß bereits zu Anfang des 14. Jahrhunderts Grundbesitz in Herborn. Von seinem Haus trennten er sich 1530. Wie das Anwesen danach in den Besitz Olevians kam, ist einstweilen ungeklärt. Eine weitere, noch reizvollere Frage betrifft die Besitzgeschichte eines Büchleins, das einst einem Wetzlarer Franziskaner gehörte und heute mit den Beständen der Bibliothek der Hohen Schule, im Theologischen Seminar auf dem Schloss aufbewahrt wird. Hatte dieser Mönch vielleicht sogar einmal das Herborner Haus seines Konvents bewohnt und damals auf freie Seiten der kleinen Druckschrift die bemerkenswerte Kritik des kirchlichen Lebens

seiner Zeit eingetragen? Ausgerechnet in diesem Haus wohnten später nacheinander zwei bis heute berühmte Theologen der Zweiten Reformation. Während Olevian bereits im dritten Jahr seiner Tätigkeit in Herborn nach einem Unfall starb, konnte Piscator noch 15 Jahre in dem alten Hospiz der Franziskaner wohnen und arbeiten. Hier entstand der bescheiden so bezeichnete „Anhang“ zum Herbornischen Bibelwerk, ein umfangreiches Lexikon der Begriffe, die in der Bibel vorkommen, mit Erklärungen und Fundstellen. Dieses bibelkundliche Lexikon in deutscher Sprache wurde vom Drucker Christof Corvin als besonders wichtig angesehen. Daher verließ er seine Geschäftspraxis nur schlichte Titelblätter zu verwenden und besorgte ein aufwendiges, in Kupfer gestochenes dafür. Die Druckplatte wurde sorgfältig aufbewahrt und 1617 mit entsprechend geändertem Eindruck für die Nassauische Chronik des Johann Textor zum zweiten mal verwendet.


Rüdiger Störkel