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Auf den Spuren der Herborner Encyclopaedia

Auf den Spuren der Herborner Encyclopaedia

Herborn, 17.02.2011: Die 1629 von Johann Heinrich Alsted in Herborn abgeschlossene und hier bei Christoph Corvins Erben 1630 im Großformat („in folio“) gedruckte Encyclopaedia griff geschickt die Nachfrage nach einer überschaubaren Zusammenfassung dessen, „Was man wissen sollte“, auf und lieferte auf rund 2.500 jeweils zweispaltig bedruckten Seiten eine systematisch gegliederte Abfolge der Wissenschaften und Künste, die vom Aufbau und Inhalt her als Grundlage für ein „Fernstudium“ für Studenten mit schmalem Geldbeutel getaugt hätte. Fernstudium gab es damals noch nicht, arme Studenten durchaus. Das Interesse an „Alstedii Encyclopaedia“ hat nie aufgehört, weil ihr Erscheinen als ein wichtiges Ereignis der Bildungsgeschichte Europas gilt. In neuerer Zeit wurde die Herborner Originalausgabe von 1630 sogar als Reprint neu aufgelegt. Im Internet kann man inzwischen gleich auf zwei digitalisierte Exemplare des leicht veränderten Nachdruckes, der 1649 in Lyon erschien, zurückgreifen. Der bessere davon entstand in Boston, Massachusetts, und kommt aus der persönlichen Bibliothek des zweiten Präsidenten der USA, John Adams. Die schon länger bekannte überaus breite Streuung von Standorten bot genug Anlass, sich näher mit der Verbreitung der Herborner Encyclopaedia zu beschäftigen. Eine bedeutende Rolle spielt dabei die Frage, ob sich klären lässt, zu welcher Zeit und zu welchem Zweck eine Encyclopaedia angeschafft wurde. In den kommenden Monaten sollen einige Funde in lockerer Folge vorgestellt werden. Es liegt nahe, damit im Norden Europas zu beginnen und dann in zusammenhängenden geographischen Räumen nach Süden fortzuschreiten. Für Schweden sind zur Zeit nur insgesamt drei Exemplare der Encyclopaedia belegt, von denen nur noch zwei erhalten sind. Sie zeigen immerhin einen der Spannungsbögen, die man beobachten kann. Ein arg ramponiertes Exemplar liegt in der alten Bischofsstadt Strängnäs und stammt aus der dortigen Kathedralschule. Offenbar wurde es von vielen Oberschülern benutzt. Besser dokumentiert ist der Fall in Skokloster. Dieses mächtige Barockschloss in der Nähe von Uppsala erbaute der schwedische Heerführer und Staatsmann Carl Gustaf Wrangel. Dort ist heute noch die von ihm hinterlassene Bibliothek aufgestellt, in der sich schon zu seinen Lebzeiten eine Herborner Encyclopaedia von 1630 befand, die noch heute in hervorragendem Zustand erhalten ist. Nun darf man fragen, wieso sich ein Mann der europäischen Oberschicht ausgerechnet eine Enzyklopädie zulegte, die ihr Verfasser eigentlich für das Studium von Leuten geschaffen hatte, die sich gerade keine eigene Bibliothek leisten konnten. Wrangels Bibliothek kann man als eine Büchersammlung betrachten, deren Zusammenstellung den Bedürfnissen der damaligen protestantischen politisch-militärischen Elite entsprach. Der theologischen Sattelfestigkeit dienten eine Bibelsammlung und Standardkommentare, der weltlichen Orientierung politische, historische und geographische Werke. Zum Kriegshandwerk gehörten damals schon Bücher über Festungsbau, Waffentechnik und angewandte Mathematik, letztere nicht zuletzt für die Seefahrt. Ein Feldherr und Gouverneur benötigte einen breiten Bildungshorizont, um seinen Aufgaben gerecht zu werden. Daher besaß Wrangel neben Büchern und Waffen auch wissenschaftliche Messinstrumente, darunter eine bemerkenswerte Sammlung von Teleskopen. Der Generalissimus brauchte nicht Alles selbst zu wissen, wohl aber, wie er schnell an zuverlässiges geeignetes Wissen kommen konnte. Hier entstand Bedarf für die Encyclopaedia, zumal die Klarheit und Übersichtlichkeit ihres Aufbaues als vorbildlich galten. Ein Geheimnis bleibt die im Katalog von 1815 aufgeführte Encyclopaedia der Universität Uppsala, die heute nicht mehr nachweisbar ist. Die Universität beschäftigte zeitweise einen Schüler Alsteds, den Genfer Isaac Cujacius, als Sprachmeister für Französisch. Cujacius, der sich zum Somersemester 1629 an der Hohen Schule Herborn einschreiben ließ, war Mediziner in fortgeschrittenem Semester und steuerte für den Vorspann der Encyclopaedia lateinische Reime zu Ehren Alsteds bei. Die naheliegende Vermutung, dass er die Anschaffung der Encyclopaedia anregte, lässt sich bislang nicht belegen.

Rüdiger Störkel