Herborn, 30.07.2009: Im Jahre 1591 entschloss sich der Frankfurter Drucker und Verleger Christof Rabe, lateinisch Corvinus, das Anwesen in Herborn zu kaufen, das er seit 1585 für seinen Betrieb angemietet hatte. Verbunden mit dem Erwerb war die Konzentration seines Geschäfts in Herborn. Man stelle sich vor, heutzutage würde ein angesehener Frankfurter Verlag statt nach Berlin an die Dill umziehen!
Corvin fiel die Entscheidung leicht, hatte er doch erlebt, wie in der nassauischen Landstadt eine Handvoll Männer innerhalb weniger Jahre eine Akademie aufbauten, die eine enorme Anziehungskraft entwickelte. Neben der rasch zunehmenden eigenen Literaturproduktion vor Ort erhielt die Druckerei auch Aufträge von außerhalb. Herborn, sonst auf den Frankfurter Messen mit Tuch und Leder vertreten, kam auf dieser europäischen Handelsdrehscheibe nun vorrangig mit Büchern heraus. Als berühmtestes Produkt der umfangreichen akademischen Schriftstellerei Herborns kann die bei Corvins Erben 1630 gedruckte Enzyklopädie des Johann Henrich Alsted gelten. Sie wurde später vollständig in Lyon und auszugsweise in London nachgedruckt. Zu den Besitzern und Benutzern dieser wichtigen Pionierleistung in der Geschichte des Lexikons zählten weltberühmte Gelehrte wie Isaac Newton und Gottfried Wilhelm Leibniz.
Das Herborner Anwesen Corvins sollte seine Firma noch bis 1685 beherbergen. Es stammte aus dem Besitz der Familie Mudersbach und lag, wie der Herborner Stadtschreiber Wilhelm Hoen 1591 notierte, uffm Ziegenbergk und zwar an der Straße, die damals von der Steinernen Pforte zum Schloss führte und burgstraße hieß. Heute ist dies der obere Teil der Schulbergstrasse, die seit 1885 an der damals aufgeschütteten Terrasse des Schulhofes der Kirchbergschule endet. Corvin nahm einige Umbauten an den Gebäuden vor. Davon ist vor allem der 1606 erbaute polygonale Treppenturm erwähnenswert. Er hatte das ebenfalls aus Fachwerk erbaute Türmchen an dem heutigen Haus Kirchberg 8 zum Vorbild, das 1601/1602 von Professor Wilhelm Zepper vor der äußeren Schlosspforte errichtet worden war. Bauherr des dritten Hauses mit Treppentürmchen an der damaligen Burgstraße war Corvins Schwiegersohn Johann Heinrich Alsted in den Jahren 1617-1619.
Die ausgesprochen repräsentative Abfolge stattlicher Bauten, die im Gegensatz zu den Bürgerhäusern frei in eigenen Hof- und Gartenflächen standen, dürfte damals ihren Eindruck auf die Besucher nicht verfehlt haben, zumal die Namen ihrer Besitzer auf das engste mit dem Ruhm der Herborner Hochschule verbunden waren. Wie man hier lebte und arbeitete, lässt sich für das 1808 leider abgebrochene Alstedsche Haus aus Archivalien rekonstruieren.
Zu dem Haus gehörten eine Scheune für die eigene Landwirtschaft, Hofflächen mit einem Brunnen und ein großer Garten Es stand, an der Stelle der jetzigen Turnhalle, mit dem südlichen Giebel auf der Terrasse des Kirchberges, neben dem Glockenturm und mit dem nördlichen an der Schulbergstrasse und besaß zwei Eingänge. Von der Schulbergstrasse aus ging man über den östlichen Hof durch eine Tür im Treppenturm in den Hausflur, von wo aus Gewölbe, Küche, Dienstbotenwohnung und eine Zimmerflucht mit einer großen Stube erreicht wurden. Von der Kirche aus führte eine Brücke zu dem zweiten Eingang im ersten Obergeschoss. Hier waren weitere Wohn- und Schlafräume, sowie eine breite Treppe, die zu einem großzügigen Unterrichtsraum, vermutlich mit Bibliothek, im ausgebauten Dachgeschoss führte. Johann Heinrich Alsted schirmte so seinen akademischen Arbeitsbereich ab. Im Erdgeschoss regierte seine Frau die Hauswirtschaft und dies vermutlich sehr energisch, sie war ja im größten Geschäftshaushalt Herborns aufgewachsen. Der Professor stieg wohl nur nach unten, um an den Mahlzeiten der großen Familie, zu der als Hausgenosse meist auch noch ein Assistent, der famulus, gehörte, teilzunehmen.
Das Bild zeigt eine Rekonstruktion des Alstedschen Hauses in verputztem Zustand um 1760. Gemeinschaftsprojekt von Fachbereich Bauen und Wohnen und Stadtarchiv Herborn. Der Entwurf zeigt die Ansicht von Osten. Alsted behielt das Haus. Seine Witwe und sein Sohn kehrten hierhin 1648 aus Transsylvanien zurück, später fiel es auf dem Erbwege an Alsteds Enkel und seine Nachkommen.
Bild und Text: Rüdiger Störkel