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Des Künstlers großer Bahnhof: Ein Besuch bei Josef Walter Hermann

Des Künstlers großer Bahnhof: Ein Besuch bei Josef Walter Hermann

Als Josef Walter Hermann als Kind am elterlichen Küchentisch das Wachstuch für erste Zeichenübungen oder zum Modellieren mit Schulknete beiseiteschob, ahnten auch die Eltern nicht, dass aus ihm eines Tages einer der besten internationalen „Künstlerdrucker“ werden würde.

Die Weichen für den künstlerischen Werdegang stellt Hermann als er Mitte der 1960er Jahre seine gerade begonnene Lehre, für ein Studium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main, frühzeitig beendet. Auf Anraten eines zugewandten Kunststudienrats, der Hermanns Werke im Schaufenster des Oranien-Verlages in Herborn entdeckte und ihm riet „aus seinem Talent etwas zu machen“, bewarb er sich für die Aufnahme an der Kunsthochschule.

Mit der Zusage der Werkkunstschule, wie die Hochschule für Gestaltung bis 1970 hieß, begannen von 1966 bis 1971 wichtige Lehrjahre für Hermann, die das Zeichnen in den Mittelpunkt rückten. An der Hochschule erlernte er sein Handwerk von der Pike auf, kam mit der Radierung, der Lithographie wie auch der Bildhauerei in Berührung. Schon früh merkte Josef Walter Hermann, dass für ihn die Faszination der Kunst ganz allgemein, darin bestand sich vom „Abmalen“ oder „Nachahmen“ der Wirklichkeit loszulösen und den eigenen Vorstellungen von den Dingen, Motiven und der realen Welt Ausdruck zu verleihen. Zu seinen Bildmotiven gehören unter anderen Masken, als Abbild des menschlichen Antlitzes, Apokalyptisches, als Zeitkritik für Umweltbelastungen, Kosmisches wie auch die Sagenfigur Ikarus.

Die Essenz von Hermanns Arbeit kann ein Zitat, das Pablo Picasso zugeschrieben wird, vermitteln: „Ich male die Dinge, wie ich sie denke, nicht wie ich sie sehe.“ Auch sagte Josef Walter Herrmann einmal über sich selbst, dass er nicht einfach etwas male, sondern Malerei erschaffe. Dank der umfassenden handwerklichen Ausbildung unter anderem bei dem Dozenten Eberhard Behr und der künstlerischen Freiheit bei der Arbeit in der Druckwerkstatt der Hochschule, entdeckte Hermann die Technik des Flachdrucks von Stein (Lithographie) für sich. Eine Prise Glück war für seinen künstlerischen Durchbruch aber ebenso bedeutsam wie sein Talent. Die Galeristin und Gründerin des Frankfurter Kunstkabinetts am Börsenplatz Hanna Bekker vom Rath war seit Beginn der 1970er seine frühe Förderin. Ab 1980er Jahren vertrat das Kunstkabinett Hermanns Werke auf dem internationalen Kunstmarkt. 1984 erhält Josef-Walter Hermann den Internationalen Senefelder-Preis, mit dem besondere Leistungen auf dem Gebiet der künstlerischen Lithographie und ihrer Weiterentwicklung gewürdigt werden.

Bis heute sieht sich Josef Walter Hermann als „Arbeiter im Dienste der Kunst“. Wobei das Bild eines „Arbeiters“ dem künstlerischen Schaffen an einer Lithographie voll entspricht. Bis ein Motiv mittels Steindruck auf Papier gebannt ist, sind viele, zum Teil schweißtreibende Arbeitsschritte nötig. Verwendeten frühere Druckverfahren das Relief, wie beim Holzschnitt oder Kupferstich, um bei einer Illustration zu druckende, von nicht zu druckenden Partien zu unterscheiden, macht sich das Steindruckverfahren den Gegensatz von Fetten und Wasser zu Nutzen. Bei der Technik der Lithographie wird mit fetthaltigem Zeichenmaterial, beispielsweise spezieller Tusche, auf einen saugfähigen Druckstein gezeichnet. Danach wird der gesamte Druckstein mit Wasser benetzt und mit fetthaltiger Druckfarbe bestrichen, die Farbe bleibt indes nur an den fetthaltigen Zeichnungen haften, wohingegen sie an den angefeuchteten Stellen abgestoßen wird. Will man mehrerer Farben in einem Bildmotiv verwenden, muss der Druckstein immer wieder per Hand gereinigt, mechanisch abgeschliffen und neu bearbeitet werden. Bei manchem Werk sind so bis zu 19 Farbdruckvorgänge zusammengekommen.

Allmorgendlich, wenn die Kirchenglocken um 8:30 Uhr läuten, durchströmt Josef Walter Hermann eine „schöpferische Munterkeit“, die den Kunstschaffenden in eines seiner drei Ateliers lockt. Ein wichtiges Refugium für die künstlerische Arbeit fand Hermann schon um 1970 im Dachgeschoss des Herborner Bahnhofs. Ebenso wichtige Orte zur Entfaltung seiner künstlerischen Freiheit sind die Alte Färberei und ein vorwiegend zur Bildhauerei genutztes Atelier im schwesterlichen Garten im Ortsteil Amdorf.
An dem betriebsamen Knotenpunkt, wo Reisende sich treffen, Züge in die Ferne schweifen, herrsche gerade genug Betriebsamkeit wie auch Ruhe, um die künstlerische Arbeit zu beflügeln, findet Hermann. Im renovierten und lichtdurchfluteten Dachgeschoss des Bahnhofs kann der Künstler sich entfalten, hier schöpft er aus einem breiten Repertoire an Hilfs- und Arbeitsmitteln, um seinen Ideen Ausdruck zu verleihen. An Staffeleien bringt Hermann Farben auf die Leinwand und fertigt Skizzen seiner Lithographien. In einem kleinen Nebenraum, der kaum mehr Platz als für eine Druckpresse lässt, benetzt Hermann den Lithostein mit Tusche und Gummi arabicum. Hier entwickeln sich gereifte Ideen zu künstlerischen Motiven. Vermutlich sind es eben diese Aromen von Leinöl, Gummi und Farben, die beim Anfertigen einer Lithographie entstehen, welche eine starke Anziehungskraft auf Herrmann ausüben, seinen olfaktorischen Sinn reizen und ihn zum begeisterten „Künstlerdrucker“ machten.

Werke des Kunstschaffenden sind in Herborn an vielen Stellen zu finden: Im Rathaus Herborn ist neben vielen Lithografien auch eine Ikarus-Skulptur zu sehen, auf dem Bahnhofsvorplatz spannt seit drei Jahren die Skulptur eines Zugvogels seine Flügel auf. Darüber hinaus präsentiert Josef Walter Hermann in der Praxis seines Zahnarztes, in der Nassaustraße 24, einige Kunstwerke in jährlich wechselnder Dauerausstellung. Auch wer die Kapelle der Lahn-Dill-Kliniken in Dillenburg besucht, kann mit den kobaltblauen Glaswänden eine besondere Arbeit Hermanns bestaunen. Machte die Sanierung des Bahnhofsgebäudes einen zeitweisen Umzug innerhalb des Bahnhofs erforderlich, freut sich der Kunstschaffende darauf, sich nun in die kreative Arbeit stürzen zu können. Auch erhofft Herrmann sich nach Zeiten der Unruhe durch den Umbau eine gute Werkphase aufgrund der verbesserten Bedingungen der Arbeit. Möge das neue, alte Atelier Garant sein für viele weitere Jahre des kreativen künstlerischen Schaffens. (dg)