Herborn, 28.05.2009: Derzeit regt sich in der Natur vielfach neues Leben. Zahlreiche Tiere ziehen in diesen Wochen ihren Nachwuchs groß. Damit häufen sich aber auch gleichzeitig die Funde von nur scheinbar verlassenen Jungtieren, die vielfach in falsch verstandener Tierliebe von wohlmeinenden Tierfreunden aufgegriffen werden, um sie von Hand großzuziehen.
Nach Mitteilung des Biologen Wolfgang Rades, Leiter des Vogelpark Herborn, sollte jedoch oberstes Gebot sein, unverletzte Jungtiere am Fundort zu belassen. Es handelt es sich in den meisten Fällen bei den scheinbar hilflosen Jungtieren nämlich nicht um Waisen. Dies gilt unter den Säugetieren zum Beispiel für Rehkitze oder junge Feldhasen. Auch in der Vogelwelt kommt es häufig vor, dass selbst noch nicht flugfähige Eulen oder auch Singvögel mit relativ vollständigem Gefieder das Nest vorzeitig verlassen.
Als so genannte Ästlinge stehen sie dann im Astwerk oder auch auf einer Wiese sitzend durch Bettelrufe noch mit ihren Eltern in Verbindung und bedürfen nicht der menschlichen Hilfe. Sollte der Aufenthaltsort eines Jungvogels, etwa an einer stark befahrenen Straße oder auf einem Kinderspielplatz, für das Tier ungünstig sein, so könne man dem Tier am besten helfen, wenn man es in einige Meter Entfernung an eine geschütztere Stelle, zum Beispiel in eine Hecke oder ein Gebüsch, umsetzt. Noch nackte Jungvögel sollten möglichst vorsichtig ins Nest zurückgesetzt werden. Dies sei für das Tier unproblematisch, da sich die Vögel im Gegensatz zu manchen Säugetieren nicht am menschlichen Geruch stören, so dass Jungvögel auch nach dem Umsetzen wieder von ihren Eltern angenommen und weiter versorgt würden. Es wird dringend davon abgeraten, Jungtiere zur Handaufzucht mitzunehmen. Diese hätten selbst bei fachgerechter Pflege sehr viel schlechtere Überlebenschancen als in der Natur. Auch das Bundesnaturschutzgesetz erlaubt die vorübergehende Aufnahme von Jungtieren nur dann, wenn sie verletzt oder krank und somit wirklich hilflos sind.
In Zweifelsfällen empfiehlt es sich, telefonische Auskünfte bei der Unteren Naturschutzbehörde der Kreisverwaltung (Tel. 06441/4071831), der Vogelklinik Gießen (Tel. 0641/9938432), der Staatlichen Vogelschutzwarte in Frankfurt (Tel. 069/4201050), dem Vorstand der örtlichen NABU-Gruppe oder im Vogelpark Herborn (Tel. 02772/42522) einzuholen. Weiterhin macht das Vogelparkteam darauf aufmerksam, dass die Pflegestation des Parks nicht alle pflegebedürftigen Vögel aufnehmen kann. Dies gilt besonders aus hygienischen Gründen, um ein Infektionsrisiko für den kostbaren Vogelbestand des Parks auszuschließen.
Rades: Hinzu kommt, dass wir auch aus Gründen der begrenzten Aufnahmekapazitäten nur Wildvögel seltenerer Arten aufnehmen können. Dazu zählen Greifvögel, Eulen, Störche, Kraniche und Reiher. Keinesfalls kann der Vogelpark Singvögel, Tauben oder Enten aufnehmen! In wirklichen Notfällen können verletzte Vögel dieser Arten jedoch nach telefonischer Abstimmung (0641/9938432) unter anderem bei der Vogelklinik der Universität Gießen abgegeben werden.
Hinweis: Die auf den beigefügten Fotos zu sehenden kleinen Waldkäuze waren 2007 leider von spielenden Kindern als angebliche Waisen aufgegriffen worden und sind über einen Forstbetrieb in den Vogelpark gekommen. Es handelte sich bei ihnen jedoch um kerngesunde Ästlinge, die zweifellos besser im Wald bei ihren Eltern geblieben und von diesen großgezogen worden wären.