Herborn, 13.01.2011: Heute gibt es für die Hangterrasse über der Herborner Altstadt und ihre steilen Zuwegungen aus dem Tal gleich drei Namen: Burgberg, Kirchberg und Schulberg. Im Mittelalter hieß dieser Ausläufer des Dill-Berglandes einfach nur der Berg. Zur Zeit der Gründung der Hohen Schule 1584 erfahren wir dann, dass zumindest der Teil, auf dem die Gebäude der Corvinschen Druckerei standen, Ziegenberg hieß. Daraus machten Gebildete, denen diese Entsprechung der Schafgasse im Tal überhaupt nicht behagte, den Zionsberg. Dieser Griff in schwindelnde Höhen des Anspruchs vermochte im realistischen Herborn nicht zu überzeugen. Den Ziegenberg wurde man jedoch ganz gerne los und fand so endlich die Namen, die heute in Gebrauch sind und ja auch den Nutzungen der Herborner Oberstadt für Burg, Kirche und Schule bis heute entsprechen. Als der Name Ziegenberg noch galt, ließ sich Christoph Corvinus in dem Anwesen der Witwe Mudersbach nieder und siedelte dorthin schließlich sogar sein gesamtes Druck- und Verlagsunternehmen aus Frankfurt um. Auf dem Herborner Ziegenberg war die Schwarze Kunst der Setzer, Korrektoren und Drucker fortan fast 100 Jahre lang zu Hause. Corvin verlegte Vieles für Menschen mit schmalem Geldbeutel. Erschwingliche Bücher von kleinem Format aber wichtigem Inhalt stellen seine Hauptproduktion dar. Seine Erben brachten auch Folianten heraus. Der berühmteste in-folio Druck, der auf dem Ziegenberg entstand, ist die Herborner Encyclopaedia Johann Heinrich Alsteds von 1630. Als das 1629 fertiggestellte Werk herauskam, lehrte sein Verfasser bereits in Julien-Weissenburg in Siebenbürgen, nachdem er, trotz fürstlichem Geleit, nur unter abenteuerlichen Umständen, sogar eines Teiles seiner Bücher beraubt, durch die kriegsverwüsteten Donauländer gereist war. Seinem Hauptwerk sieht man die bedrängten Umstände des Dreißigjährigen Krieges, der auch Herborn nicht verschonte, nicht an. Alsted legte eine Übersicht des für die Bildung nötigen Wissens seiner Zeit als sehr übersichtliche Zusammenstellung aus rund 1.000 Fachbüchern vor. Das zweibändige Werk mit über 2.500 Seiten war nicht nur durch eine feine Gliederung, sondern auch durch einen alphabetischen Index sehr übersichtlich erschlossen. Es sollte ein Hilfsmittel für Menschen sein, die an einer umfassenden Bildung interessiert, jedoch nicht in der Lage waren, zahlreiche Bücher anzuschaffen. Die Herborner Encyclopaedia wurde zu einem internationalen Verkaufsschlager, nicht nur bei der Zielgruppe, sondern auch bei Bibliotheksbesitzern, die an Alsteds Experiment Interesse fanden und jährlich reiche Mittel zur Ergänzung ihrer bestände aufwenden konnten. Die Originalausgabe findet sich in Venedig ebenso, wie auf Schloss Skokloster bei Uppsala. In Paris und London und in Bibliotheken Neu-Englands. Hier lebte und lehrte in Boston um 1700 Cotton Mather, ein sehr einflussreicher Geistlicher und Schriftsteller, der Alsteds Leistung sogar mit der Entdeckung der Nord-West-Passage verglichen hat. Der Ruf der Herborner Encyclopaedia motivierte das Druck- und Verlagshaus Huguetan&Ravaud in Lyon zu einem Nachdruck, der nach einigen Schwierigkeiten Ende 1649 zustande kam. Die nunmehr vierbändige Ausgabe wurde erneut zum Renner. Das Verbreitungsgebiet erweiterte sich sogar. Bis heute ist als Rest einer Lyoner Ausgabe ein dritter Band der Encyclopaedia in der peruanischen Nationalbibliothek in Lima erhalten. Dies ist vermutlich kein Zufall. Die Herborner Encyclopaedia war nämlich in den Besitzungen der Spanischen Krone zugelassen, sofern sie von Ketzerei gereinigt war. Dies geschah anscheinend durch sorgfältiges Überkleben anstößiger Textstellen. Die Beurteilung dieser Fleißarbeit der Spanischen Inquisition steht noch aus, doch kann man davon ausgehen, dass Alsted beispielsweise in der ehrwürdigen kastilischen Universität Salamanca ungefähr so bekannt war, wie an der Sorbonne in Paris oder in Oxford und Cambridge. Das Erscheinen der Encyclopaedia war ein Bildungsereignis, das in ganz Europa und sogar in den europäischen Kolonien wahrgenommen und gewürdigt wurde.