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Gedenkgang zur Schließung der Gewerkschaftshäuser vor 75 Jahren

Gedenkgang zur Schließung der Gewerkschaftshäuser vor 75 Jahren

Herborn, 17.04.2008: Die Nationalsozialisten verloren nicht viel Zeit: Der sogenannten „Machtübernahme“ Hitlers am 30. Januar 1933 folgte das Ermächtigungs-Gesetz vom 23. März, das Hitlers Regierung in die Lage versetzte, Gesetze ohne die Zustimmung von Reichstag und Reichsrat zu erlassen. Dem Ende der Weimarer Republik und der parlamentarischen Demokratie folgte die Zerschlagung der freien Gewerkschaften: Auch in Herborn stürmten am 2. Mai die Nationalsozialisten die Gewerkschaftsräume in der Burger Landstraße 5 und in der Kaiserstraße 19, wo der Bergarbeiter-Verband und der Deutsche Metallarbeiter-Verband (DMV) beheimatet waren. Sie verbrannten die Akten, zerstörten das Inventar und zogen das Vermögen ein.


Auch in den benachbarten Städten, beispielsweise in Marburg, Gießen und Wetzlar, beschlagnahmten die Machthaber das gewerkschaftliche Vermögen, misshandelten und verhafteten die Gewerkschaftsfunktionäre. Die Machthaber stellten die Aktionen als „Befreiung der Arbeiterschaft von den Gewerkschaften“ dar, wie Holger Gorr in seinem 1997 erschienenen Buch „Verdammte Geduld – Dokumente zur Geschichte der Arbeiterbewegung im Dillgebiet 1811 – 1949“ berichtet.


Der Angriff auf die Gewerkschaften kam auch in Herborn nicht von ungefähr: In der von der Region Mittelhessen des Deutschen Gewerkschaftsbundes soeben herausgegebenen „Maizeitung für Mittelhessen“ berichten die Autoren Marcello Di Cicco und Andrè Kremer, dass im März 1933 der Garten des Gewerkschaftssekretärs Heinrich Becker erfolglos nach Waffen durchsucht worden sei. Solche Aktionen, die reichsweit mit Unterstützung von SA und SS geschahen, unterband die Parteiführung jedoch: Sie hätten zu Streiks führen und zum einen den wirtschaftlichen Wiederaufbau gefährden sowie zum anderen die Arbeiter gegen den neuen Staat aufbringen können, schreibt der NS-Historiker Karl Dietrich Erdmann. Eine begründete Befürchtung der NSDAP: Bei den Betriebsrats-Wahlen im März hatte der Parteiverband NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation) nämlich nur ein knappes Viertel der Stimmen für sich verbuchen können.


Am 7. April bereits sei dann das Gewerkschaftshaus „symbolisch besetzt“ worden, für die Öffentlichkeit erkennbar an einer Hakenkreuzflagge an der Hausfassade, so haben die Autoren herausgefunden. Wenige Tage später habe der NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation) die Rechte und Geschäfte des Deutschen Metallarbeiterverbands und des Deutschen Bergarbeiterverbands übernommen. „Namhafte Gewerkschaftssekretäre wie Hermann Schaub vom DMV, Paul Szymkowiak und weitere wurden ins Gefängnis nach Wetzlar überstellt und zum Teil schwer misshandelt. Anderen gelang gerade noch die Flucht vor den Behörden“, schreiben sie.


Dabei hatte Hitlers Bereitschaft, 1933 zum ersten Mal den 1. Mai zum staatlichen Feiertag zu erklären, zunächst noch den Anschein erweckt, als werde hier eine alte Forderung der internationalen Arbeiterbewegung erfüllt. „Die Gewerkschaften nahmen dies dankbar an und riefen ihre Mitglieder zur Teilnahme auf“, schreiben de Cicco und Kremer. Die Gewerkschaften seien der Meinung gewesen, damit „endgültig ihren Platz im NS-Staat gefunden zu haben“.


Doch eigentlich trachteten die Nationalsozialisten nur danach, sich einen Zugang zu den traditionell politisch eher sozialistisch oder kommunistisch eingestellten Arbeiterschaft zu schaffen. Und dabei standen die Gewerkschaften im Weg – ihre beabsichtigte Zerschlagung war spätestens mit dem Gesetz zur Gleichschaltung vom 21. April offenkundig. Die auch aus der Herborner Hauptstraße auf historischen Fotos zu sehenden Hakenkreuz-Fahnen, die im ganzen Reich zum Maifeiertag die Häuser „schmückten“, dienten lediglich dem propagandistischen Zweck, die angebliche Übereinstimmung der nationalsozialistischen Ziele mit denen der Arbeiter schmackhaft zu machen.


Im Rahmen der „Woche der Arbeit“, die in Herborn auch in diesem Jahr gemeinsam von GEW, DGB, IG Metall, ver.di, der Stadt Herborn, der AWO und der EKHN veranstaltet wird, findet am 1. Mai eine Gedenkveranstaltung anlässlich der Schließung der Gewerkschaftshäuser vor 75 Jahren statt. Der Stadtgang, den wieder der Spielmannszug Oberscheld begleitet, beginnt um 10.15 Uhr an der Bürgermeisterwiese (Aldi-Parkplatz/hinter Autohaus Schäfer & Grimm) und mündet in die Kundgebung mit Bezirkssekretär Jörg Köhlinger auf dem Marktplatz, die um 11 Uhr beginnt.


Text: Klaus Kordesch


Die Aufnahme aus den zwanziger Jahren zeigt die Bäckerei Theis und rechts das Gewerkschaftshaus Kaiserstraße 19, wo der Deutsche Metallarbeiter-Verband (DMV) bis zum 2. Mai 1933 seine Verwaltungsstelle hatte. (Sammlung Rohrbeck/Repro: Kordesch)