2006 beendete Karl Schneider sein bewegtes Arbeitsleben mit dem Rentenantritt ein erstes Mal. Damals war der Deutsche mit russischen Wurzeln schon über zehn Jahre bei der Stadt Herborn beschäftigt. Er arbeitete an der Seite des damaligen Stadtarchivars Rüdiger Störkel und sicherte viele Schätze des Stadtarchivs für die Nachwelt. Neben vielen Qualifikationen, die Karl Schneider im Laufe seines Lebens erworben hat, ist es vor allem seine Affinität zur Chemie als diplomierter Chemiker und Agraringenieur, die sich für die Stadt Herborn als Glücksfall erweisen wird. Dabei war es eher Zufall, dass sich Karl Schneider bei seinem Umzug nach Deutschland im Winter 1992 an der Dill niederließ.
Seine Familie gehörte zu jenen Russlanddeutschen, die im Jahre 1941 nach Sibirien oder in andere entlegene Regionen Russlands verschleppt und zur Arbeit in der Kollektivwirtschaft gezwungen wurde. Nach einem Leben mit viel körperlicher Arbeit bei Eiseskälte von mehr als -40 Grad Celsius in einer Kolchose in Sibirien und Sommerhitze in seiner zweiten Wahlheimat Kasachstan, siedelte Karl Schneider Anfang der 1990er Jahre mit Frau und zwei Kindern nach Deutschland über.
Fast drei Jahrzehnte hat er sich darum gekümmert hochwassergeschädigte Archivalien, vor allem Dokumente, darunter viele Unikate, zu reinigen, zu desinfizieren und von Schimmelsporen zu befreien. Diese Arbeit zeitigt nur in kleinen Schritten Erfolge, doch ist ihr Wert für das „Gedächtnis der Stadt“ unermesslich. „Seiner geduldigen und akribischen Arbeitsweise sowie dem langem Atem und seiner Beharrlichkeit ist es zu verdanken“, weiß der ehemalige Stadtarchivar Rüdiger Störkel, „dass viele Archivgüter, die dem Hochwasser im Jahr 1984 (am 7.02.1984) zum Opfer fielen, gerettet werden konnten“. Was es bedeutet, wenn Archivmaterial nass wird und sich Schimmel ausbreitet, könne nur Karl Schneider wirklich nachempfinden. „Er hat die Begabung das Eklige (den Schimmel) zu ertragen. Geduldig hat er Archivbestände überprüft und investierte auch seit 2013, als an Teilen der Zeitungsbestände frischer Schimmel festgestellt wurde, beherzt wieder viele Stunden in die Sicherung von Archivgut“, so Störkel.
Mit einem Augenzwinkern erzählt Karl Schneider: Jedes Mal wenn er die Hochwassermarke in der Bahnhofsstraße sehe, sei er sehr dankbar, weil der liebe Gott schon zehn Jahre bevor er bei der Stadt Herborn angefangen habe, eine tolle Arbeitsstelle für ihn im Stadtarchiv vorgesehen habe. So schreibt die Stadtgeschichte eben auch viele persönliche Geschichten. (dg)
Bildunterschrift: Karl Schneider (l.) hat durch seine langjährige, auch ehrenamtliche Tätigkeit im Stadtarchiv Herborn das „Gedächtnis der Stadt“ bewahrt. Dafür dankten ihm bei seiner Verabschiedung Bürgermeisterin Katja Gronau (2. V.l.) und die Kollegen vom Stadtarchiv Rüdiger Störkel und Sandra Berns.