"Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus..." Wer in diesen Tagen durch die Natur wandert, kann sich hierzulande oft an den ergrünenden Buchen- und Eichenwäldern freuen, die auch rund um Herborn unser Landschaftsbild prägen. Doch die erste Zeile des alten Volksliedes trifft auch für weniger ansehnliche Waldgebiete zu.
"Unland" ist die offizielle Bezeichnung für das Areal hinter dem früheren Burger Bahnhof. Wer auf der Herbornseelbacher Ortsumgehung aus dem Aartal heraus in Richtung Bundesstraße B277 fährt, sieht das Gebiet kurz vor der Ampelkreuzung rechts am Fuße der für die neue Straße aufgeschütteten Böschung liegen. Erlen, Weiden und Birken wachsen hier auf beiden Seiten der Aar, die wenige Meter weiter in die Dill mündet. Es ist ein Gebiet, das überflutet wird, wenn die Aar Hochwasser führt, und vielleicht auch deshalb wirkt es etwas unordentlich. Spaziergänger verirren sich selten hierher, obwohl ein Forstweg unterhalb der Ortsumgehung entlang angelegt ist. Aber die nahe Straße ist laut, und es ist kein besonders schön anzusehender Wald.
Schönheit liegt aber bekanntlich im Auge des Betrachters, und wenn dieser so sachkundig ist wie Revierförster Thomas Rittner, dann erkennt er den Wert dieser Landschaft. "Klar ist es schön hier!", widerspricht der Forstmann dem Eindruck des Laien. Und er kann seinen Einspruch auch begründen: Verantwortlich dafür sind vor allem die rund 1500 kleinen Bäume, die seine Mitarbeiter in diesen Tagen entlang der Ufer, zwischen den Bäumen und am Weg entlang pflanzen. Eschen, Stieleichen und Ulmen, aber auch Wildkirschen und einige Schwarznüsse sind es, die da in die Erde wandern und den bestehenden Auenwald immens aufwerten werden - vor allem in ökologischer, aber auch in optischer Hinsicht, obwohl es sich nicht um Ziergehölz handelt.
Mit den Neuanpflanzungen wird der Wald in dem rund zwei Hektar großen Areal nämlich erheblich langlebiger. Was man derzeit aus dem Autofenster oder bei einer Exkursion in den Überflutungsbereich wahrnimmt, ist der "wild" entstandene Wald einer sogenannten Weichholz-Aue mit Erlen, Birken und Weiden. Irgendwann muss jemand dem Wildwuchs auf den im Zuge des Flurneuordnungsverfahrens Herbornseelbach mit den Eigentümern getauschten und durch Ankäufe von der Stadt Herborn erworbenen Flächen schon einmal zu Leibe gerückt sein - manche sind buschig aus den Stöcken wieder ausgetrieben. "Das ist ein sehr kurzlebiges System", erklärt Rittner. Nur 30 bis 40 Jahre, so seine Einschätzung, überdauere so ein Wald ohne planerische Eingriffe, bis alles wieder von vorne beginne.
Mit den nun eingeleiteten Schritten könne der künftig entstehende Auenwald ohne weiteres bis zu 300 oder sogar 500 Jahre alt werden, schätzt der Forstmann. Mit der Forstmaschine hat er die dicken buschigen Stockausschläge aus dem Areal entfernen lassen und die so entstandenen Lücken zwischen dem durch Selbstaussaat aufgebauten Bestand mit den neuen Pflanzen ergänzt. Rund 80 Prozent des Waldes sollen künftig aus langlebigem Hartholz bestehen, so der Plan. Entlang der Aar schlagen bereits die hier gesetzten Erlen aus, in zweiter Reihe folgen Eschen. Großer Vorteil der Erlen ist, dass sie mit ihrem Wurzelwuchs das Ufer stabilisieren - im Gegensatz zu den vorher hier stehenden hochgewachsenen Weiden, von denen einige bereits in den Bachlauf gestürzt waren. Klaffend ausgespülte Löcher in der Uferböschung zeigen, mit welcher Gewalt sich das reißende Hochwasser dann seinen Weg um die gestürzten Baumriesen herum gesucht hat.
Aber nicht nur die Natur und der Hochwasserschutz profitieren von der Öko-Maßnahme, sondern auch die Stadt Herborn und die Anwohner jenseits des alten Burger Bahnhofs und der Junostraße: "Durch den Kronenwuchs entsteht ein dauerhafter Lärmschutz-Riegel zwischen der Ortsumgehung und dem Wohngebiet", verspricht Rittner. Und die ökologisch wertvolle Hartholzaue - bekannte Beispiele dafür sind am Rhein und beispielsweise in Gestalt der Kühkopf-Knoblochs-Aue im Kreis Groß-Gerau zu bewundern - bringt der Stadt zudem noch rund 300 000 Ökopunkte ein. Die werden für die Stadtentwicklung laut Kompensationsverordnung des Landes Hessen dringend gebraucht, zum Beispiel bei der Ausweitung von Baugebieten. Die Ökopunkte sind zudem auch handelbar und könnten bei Bedarf bares Geld in die Stadtkasse spülen, werden sie doch unter anderem von den Kommunen bei deren städtebaulicher Entwicklung oder von den Investoren als Ausgleich für den Flächenbedarf der Windkraft benötigt. Wenn man all das weiß, blickt man doch gleich mit einer ganz anderen Einstellung auf den unscheinbaren Wald an der Aar bei Burg.
Klaus Kordesch